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Ursachen für Vielfalt im Recht

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Ursachen für Vielfalt im Recht

Bericht über die dritte Jahrestagung vom 7. bis 9. April 2025

Die dritte Jahrestagung des Käte Hamburger Kollegs widmete sich einer für die Rechtsgeschichte wie für das gegenwärtige Recht gleichermaßen grundlegenden Frage: Was sind die Ursachen von Rechtsvielfalt? Die Veranstaltung fand im Heereman’schen Hof in der Königstraße 47 in Münster statt. Der im 16. Jahrhundert errichtete und nach Kriegszerstörungen wieder aufgebaute Hof diente später als Verwaltungsgericht und gehört seit 2011 zur Universität Münster. Seine juristische Vergangenheit ist bis heute sichtbar: Das Richterzimmer heißt noch immer so und die historische Fassade trägt die lateinische Inschrift Post Tenebras Spero Lucem („Nach der Dunkelheit hoffe ich auf das Licht“). Ein passendes Motto für eine Tagung, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Strukturen und Bedingungen von Pluralität im Recht aufzudecken.

Peter Oestmann eröffnete die dritte Jahrestagung mit Gedanken zur interdisziplinären Forschung am Kolleg (Foto: Michael C. Moeller).

In seiner Eröffnung betonte Peter Oestmann den interdisziplinären Ansatz und die wissenschaftliche Gemeinschaft des Kollegs, das nun in sein fünftes Jahr geht. Dabei verwies er auf den Spagat, vor dem drittmittelgeförderte Forschung in Deutschland stehe – nämlich zwischen thematischer Offenheit und institutionellen Erwartungshaltungen. Den bewusst weit gefassten Rahmen von „Einheit und Vielfalt im Recht“ halte er für notwendig für die Förderung von Kreativität und disziplinärem Austausch und warnte, dass eine Einschränkung von Vielfalt wissenschaftliche Kooperationen eher schwächen als stärken würde. Ein zentraler Gedanke, der sich durch die Konferenz zog, war, dass Rechtsvielfalt nicht nur das Ergebnis von kultureller oder religiöser Vielfalt ist. Vielmehr kann das Recht selbst durch seine vielfältigen Quellen, Autoritäten und Entstehungsformen – von Gewohnheit über den Vertrag bis hin zum Befehl – Pluralität erzeugen. Dieses Konzept lehnt jeden einfachen Gegensatz zwischen Homogenität und rechtlicher Vielfalt ab. Selbst Gesellschaften mit nur einer einzigen Sprache, Religion oder ethnischen Zugehörigkeit können pluralistische Rechtsordnungen hervorbringen.

Während der folgenden drei Konferenztage beleuchteten Forschende aus einem breiten Fächerspektrum verschiedene historische und geografische Kontexte, in denen Rechtspluralismus entsteht. In der ersten Sektion ging es um gesellschaftliche Diversität und rechtliche Vielfalt. Éva Jakab (Budapest) untersuchte, wie das Römische Reich griechische Rechtspraktiken wie Syngraphai und hierographische Schuldanerkennungen neben römischen Normen integrierte. Cecilia Cristellon (Münster) erörterte gemischtkonfessionelle Ehen im frühneuzeitlichen Europa und zeigte, wie religiöse Pluralität durch Gewohnheit und pragmatische Kompromisse handhabbar gemacht wurde. Armando Guevara Gil (Lircay) stellte den Fall der peruanischen Nonne Dominga Gutiérrez de Cossio aus dem 19. Jahrhundert vor, die sich im Spannungsfeld zwischen kirchlicher und staatlicher Gerichtsbarkeit um ihre Säkularisierung bemühte. Iveta Leitane (Yale) analysierte rechtliche Strategien zur Berücksichtigung ethnischer und religiöser Minderheiten im Lettland der Zwischenkriegszeit und richtete den Fokus auf das Wirken des Parlamentariers Max M. Laserson.

Drei Tage lang diskutierten die Teilnehmenden über Ursachen für Rechtsvielfalt (Foto: Michael C. Möller).

Die zweite Sektion befasste sich mit der Rolle politischer und religiöser Abgrenzungen als Faktor für Rechtsvielfalt. Clara Harder (Köln) zeigte, dass Begriffe wie bastardus und spurius wechselnde Bedeutungen hatten und dass die rechtliche Definition von Illegitimität stark variierte, da es vor dem 12. Jahrhundert kaum ein einheitliches Kirchenrecht gab. Ido Shahar (Haifa) verglich, wie Deutschland, Italien, Israel und das Vereinigte Königreich an die Integration muslimischen Familienrechts in ihre säkularen Rechtssysteme herangehen. Er betonte, wie wichtig es sei, einen Ausgleich zwischen den Rechten des Individuums und der Autonomie der Gemeinschaft zu schaffen. Ferdinando Mazzarella (Palermo) untersuchte die gescheiterte rechtliche Annäherung zwischen dem faschistischen Italien und Nazideutschland und zeigte die Spannungen zwischen totalitären Ideologien auf. Olaf Zenker (Halle-Wittenberg) schließlich analysierte den Versuch Südafrikas, in der Post-Apartheid-Ära Gewohnheitsrecht mit Verfassungsnormen zu vereinen, wobei er auf bestehende Ungleichheiten und anhaltende Forderungen nach einer tiefergehenden Dekolonisierung verwies.

Die dritte Sektion befasste sich mit Rechtsvielfalt in Imperien. Heikki Pihlajamäki (Helsinki) verglich niederländische und spanische koloniale Ansätze zum Umgang mit rechtlicher Vielfalt durch eine Kombination aus kodifiziertem Recht, Gewohnheit und lokaler Praxis. Hesi Siimets-Gross (Tartu) untersuchte, wie die baltischen Provinzen innerhalb des russischen Reiches trotz Kodifizierungsbemühungen lokale Gesetze beibehielten. Raquel Gil Montero (Mendoza) analysierte den fließenden Übergang zwischen Gewohnheit und Zwang in den Arbeitsbeziehungen im kolonialen Bolivien und zeigte, wie imperiale Anforderungen und indigene Handlungsmacht die Rechtsvielfalt vor Ort bestimmten. Kevin Lenk (Münster) schließlich untersuchte, wie die Großmächte zwischen 1870 und 1935 bei der Regelung der maritimen Sicherheit kooperierten und machte dabei rechtliche Inkonsistenzen und Unklarheiten sichtbar, mit denen lokale Akteure konfrontiert waren.

Vier Personen, die sich unterhalten.
Die Tagung brachte auch ehemalige und aktuelle Fellows miteinander ins Gespräch (Foto: Michael C. Möller).

In der Abschlussdiskussion thematisierte Matthias Bähr zunächst die Frage der kulturellen Ambiguität – also, wann Differenzen rechtliche Regelungen hervorrufen und wann sie ohne Kodifizierung toleriert werden. Er betonte, wie wichtig es sei, intersektionale Abgrenzungen wie Religion, Ehre und Status in den Blick zu nehmen. Peter Oestmann griff die Leitfrage der Konferenz nach den Ursachen von Rechtsvielfalt auf. Er nannte internationalen Handel, Migration und Mehrsprachigkeit als mögliche Treiber. Zudem unterstrich er die Bedeutung des wissenschaftlichen Diskurses über Konzepte wie die lex mercatoria und gab zu bedenken, dass Pluralität nicht immer auf kulturelle Vielfalt zurückzuführen sei. Ulrike Ludwig schloss mit fünf zentralen Beobachtungen: der Notwendigkeit kontextspezifischer Definitionen von Rechtsvielfalt; der Bedeutung vergleichender Perspektiven zwischen und innerhalb von Gesellschaften; der Rolle von Konflikten als Instrument zum Umgang mit Vielfalt im Recht; der regionsspezifischen Verwendung des Begriffs „Gewohnheitsrecht“; und der Begriffsgeschichte als Methode, um rechtliche Transformationen nachzuvollziehen.

Die dritte Jahrestagung des Kollegs zeigte auf, wie Rechtsvielfalt durch sich überlagernde soziale Grenzziehungen, politische Agenden, religiöse Traditionen und imperiale Prägungen entsteht. Anhand von Fallstudien von der römischen Antike bis ins postkoloniale Südafrika entstand ein differenziertes Bild davon, dass Rechtspluralität nicht nur äußere Unterschiede widerspiegelt, sondern ebenso aus inneren rechtlichen Dynamiken und historischen Wandlungsprozessen hervorgeht.

Sophia Mösch


Zitieren als:

Sophia Mösch: „Ursachen für Vielfalt im Recht. Bericht über die dritte Jahrestagung vom 7. bis 9. April 2025“. EViR Blog, 06.05.2025, https://www.evir.uni-muenster.blog/en/annualconference2025.

Lizenz:

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