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„Auf juristischer Ebene gab es nie eine gemeinsame Weltanschauung“

Interview mit Ferdinando Mazzarella über die „Arbeitsgemeinschaft für die deutsch-italienischen Rechtsbeziehungen“

In den 1930er Jahren verabredeten das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutsche Reich eine engere politische Zusammenarbeit und schlossen mit Beginn des Zweiten Weltkriegs ein Militärbündnis. Weniger bekannt sein dürfte, dass beide Länder auch auf dem Gebiet des Rechts eine Annäherung anstrebten. Am Käte Hamburger Kolleg vergleicht der Rechtshistoriker Ferdinando Mazzarella das deutsche und das italienische Recht unter dem Totalitarismus und untersucht die Tätigkeit der „Arbeitsgemeinschaft für die deutsch-italienischen Rechtsbeziehungen“. Im Interview spricht er über seine Forschung und erläutert, wie ideologische Unterschiede zwischen Faschismus und Nationalsozialismus sich auch auf dem Feld des Rechts niederschlugen.

Herr Professor Mazzarella, seit 1937 arbeiteten deutsche und italienische Juristen an einer Annäherung der nationalsozialistischen und faschistischen Rechtsordnung. Wie kam es dazu?

Die Beziehungen zwischen deutschen und italienischen Juristen basierten traditionell auf Austausch und Vergleich, aber was 1937 geschah, war etwas völlig Neues: der Beginn einer institutionellen Zusammenarbeit, die eindeutig politische Gründe und Ziele hatte. Am 2. November gründeten Reichsminister Hans Frank und der italienische Justizminister Arrigo Solmi eine „Arbeitsgemeinschaft für die deutsch-italienischen Rechtsbeziehungen“ mit dem Ziel, die Entwicklung des Rechts beider Länder „nach den Grundsätzen der nationalsozialistischen und faschistischen Weltanschauung“ zu fördern (Art. I des Statuts). Der Ausschuss wurde ein Jahr nach Schaffung der „Achse Berlin–Rom“ gegründet und ging dem Kulturabkommen vom 23. November 1938 voraus, das die Rolle des Rechtsausschusses in Art. VII ausdrücklich bestätigte. Im Rahmen des neuen politisch-militärischen Bündnisses übertrugen die nationalsozialistische und die faschistische Regierung den Juristen die Aufgabe, eine Brücke zwischen den Diktaturen zu schlagen. Sie nutzten das Recht, um die Schicksale „der beiden entscheidenden Revolutionen des 20. Jahrhunderts“ zu festigen, wie Frank in der Eröffnungssitzung des Ausschusses rhetorisch hoffte bzw. um die angebliche Harmonie zwischen den beiden ‚Parallelrevolutionen‘ zu demonstrieren, wie der neue italienische Justizminister Dino Grandi 1940 erklärte.

© Wikimedia Commons
Im Gleichschritt? Hitler und Mussolini 1937 in Berlin

Die Ideologien des Faschismus und des Nationalsozialismus haben sicherlich viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Auf welche Hindernisse stießen die Juristen?

Faschismus und Nationalsozialismus fallen in dieselbe historisch-theoretische Kategorie des Totalitarismus. Das bedeutet natürlich nicht, dass die beiden Ideologien gleich sind. Hannah Arendt hielt die beiden Regime insbesondere in Bezug auf die Rolle der Partei und die Ziele der Bewegung für so unterschiedlich, dass sie den Faschismus gar nicht als echte Form des Totalitarismus betrachtete. Auf juristischer Ebene hat es eine „nationalsozialistische und faschistische Weltanschauung“ sicherlich nie gegeben, trotz der Formeln der Arbeitsgemeinschaft und der triumphalistischen Erklärungen der Politiker. Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Ideologien liefen auf ein allgemeines Programm des revolutionären Bruchs hinaus, das letztlich aus einem Katalog antagonistischer Thesen bestand: Beide Regime erklärten sich als antiliberal, antidemokratisch, antibolschewistisch, antiparlamentarisch und antiindividualistisch. 

Selbst die Juristen der damaligen Zeit waren sich der Unterschiede bewusst. Als Carl Schmitt 1936 von einer Italienreise zurückkehrte, erklärte er, dass zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland tiefe ideologische Unterschiede bestünden, die eine klare Trennlinie zwischen zwei verschiedenen „Weltanschauungen“ zögen. Italien war nicht an der Rassenfrage interessiert, die allerdings die Grundlage des nationalsozialistischen „völkischen“ Rechts bildete. Es hielt auch an der staatsrechtlichen „Tradition“ fest, indem es den Vorrang des Staates vor allen anderen politischen Elementen, einschließlich des Volkes, wiederbelebte. Das Volk wiederum stellte die einzige Quelle des nationalsozialistischen Rechts dar. Die bekannte Meinungsverschiedenheit über den Wert des römischen Rechts, das die Deutschen als fremdes und unreines Recht betrachteten, während es für die Italiener ein Ausbund an Harmonie war, war nur die Spitze des Eisbergs. Aus den ideologischen Unterschieden ergaben sich Divergenzen in allen wichtigen Rechtsfragen: die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht, der Wert des Individuums, das Konzept des Vertrags, die Rolle des Richters, die Bedeutung des Gesetzes, die Idee des Gesetzbuchs, die Konzeption des Staates und der Verfassung.

Wie unterschieden sich diese Vorstellungen von Staat und Verfassung? 

Sowohl der Faschismus als auch der Nationalsozialismus wurden auf ihre Weise zu Interpreten einer neuen Verfassungskultur und suchten nach einem Prinzip der politischen Einheit, das den Partikularismus der Massengesellschaft bändigen sollte. Auf der Grundlage ihrer jeweiligen Ideologie entwickelten sie aber ganz unterschiedliche Verfassungsdoktrinen. Die faschistische Ideologie war statisch, korporatistisch und legalistisch. Der Faschismus zielte darauf ab, die Krise des Staates durch den Staat zu überwinden, indem er den Mythos des Staates wiederbelebte und stärkte; ein korporativer Staat, der in der Lage war, zwischen gegensätzlichen Interessen zu vermitteln und die „moralische, politische und wirtschaftliche Einheit“ der „Nation“ vollständig zu verwirklichen. Die nationalsozialistische Ideologie war demgegenüber völkisch, rassisch und gerichtszentriert. Der Staat war nichts weiter als ein Mittel zum Zweck, der in der Erhaltung und Verwirklichung einer auf der Homogenität des Blutes und der Rasse beruhenden „Volksgemeinschaft“ bestand. Für den Faschismus war das Recht das Produkt des politischen Willens des Staates, der sich in einer Hierarchie formaler Akte artikulierte, von Gesetzen über korporative Normen bis hin zu Tarifverträgen. Für den Nationalsozialismus war das Recht die „Ordnung des völkischen Gemeinschaftslebens“ selbst, eine Reihe substanzieller „Werte“ („Volksempfinden“, „Rasse“, „Sippe“, „Ehre“, „Blut“, „Boden“ usw.), die von den Richtern und in letzter Instanz vom Führer weit ausgelegt wurden.

Können Sie ein Beispiel für ein faschistisches Gesetz nennen, das diesen korporatistischen Geist widerspiegelt?

Mehr noch als ein Gesetz, kommen mir die dreißig Erklärungen der Charta der Arbeit von 1927 in den Sinn, die das faschistische Regime 1941 zu Verfassungsprinzipien des Staates erhob. Die Charta erkannte die besonderen Interessen von Einzelpersonen und Gruppen an, die jedoch durch die Instrumente des korporativen Staates in Einklang gebracht werden mussten: Tarifverträge, korporative Normen, Arbeitsgerichtsbarkeit, verbindliche staatliche Vorschriften. Die Grundsätze der Charta wurden dem Codice civile von 1942 vorangestellt und somit auf das Privatrecht übertragen, wo sie Eigentumsrechte, die Vertragsautonomie, Arbeitsverhältnisse und wirtschaftliche Transaktionen den Prinzipien der „korporatistischen Solidarität“ und der Verteilungsgerechtigkeit unterwarfen.

Kam die Arbeitsgemeinschaft zu einem Ergebnis? 

© Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 6 (1939)
Bericht über die zweite Tagung der Arbeitsgemeinschaft für die deutsch-italienischen Rechtsbeziehungen

Nicht mehr als die üblichen Ergebnisse einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit auf hohem Niveau. Italienische und deutsche Juristen trafen sich 1938 in Rom und 1939 in Wien zu zwei Konferenzen, auf denen sie zahlreiche Themen, vor allem das Privatrecht, diskutierten. Am Ende beider Konferenzen verabschiedeten die Delegationen gemeinsame Resolutionen, die zwar die Harmonie der Verbündeten symbolisierten, in Wirklichkeit aber tagelange Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten verbargen. 

In der Zwischenzeit arbeiteten die Juristen beider Länder an ihren jeweiligen Kodifizierungsprojekten. Die Italiener vollendeten ihr nach dem Ersten Weltkrieg begonnenes Werk, indem sie die solidaristischen Leitlinien der korporativen Ideologie auf das individualistische Privatrecht übertrugen und so zum Zivilgesetzbuch von 1942 gelangten, das noch immer in Kraft ist. Die Deutschen arbeiteten derweil am Projekt eines „Volksgesetzbuches“ (VGB). Es wurde 1939 von Frank mit dem Ziel begonnen, das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) durch ein Gesetzbuch zu ersetzen, das das tägliche Leben der „Volksgenossen“ nach einem „völkischen“ Gesetz des Blutes und der Rasse regeln sollte. Der Versuch scheiterte im Sommer 1944 zusammen mit Hitlers pan-germanischem Traum.

Wie gehen Sie bei der Untersuchung vor und mit welchen Quellen arbeiten Sie? 

Mein Ansatz ist historisch-komparativ. Und ich lege besonderen Wert auf den historischen Aspekt, weil ein bloßer Vergleich zu irreführenden Ergebnissen führen könnte. Es ist notwendig, Ideologien zu kontextualisieren, juristische Lösungen zu historisieren, die Verbindungen zwischen den Grundsätzen der ideologischen Propaganda und langfristigen Entwicklungen zu erfassen und die persönliche intellektuelle Entwicklung eines jeden Juristen nachzuvollziehen. All dies auch mit dem Ziel, zu verstehen, wie viel von der Ideologie der Regime realistisch und historisch plausibel war und wie viel das Ergebnis wahnhafter nationalistischer und antisemitischer Vorstellungen. 

Eine solche Forschung muss meiner Meinung nach Quellen unterschiedlicher Art berücksichtigen: die Berichte der deutsch-italienischen Arbeitsgemeinschaft, die Gesetzgebung und die vorbereitenden Arbeiten, vor allem aber die Arbeiten der Juristen mit besonderem Augenmerk auf den zwischen 1918 und 1945 veröffentlichten Büchern und Zeitschriften. Ein nächster Schritt wäre eine Untersuchung der Gerichtsurteile, um die Auswirkungen der Theorien auf das tägliche Leben nachzuvollziehen.

An anderer Stelle haben Sie mit Blick auf das gegenwärtige Wiedererstarken des Autoritarismus gesagt, dass „die Kenntnis der Rechtsgeschichte unsere friedliche Waffe gegen eine neue Verrohung ist“. Wie kann uns die Rechtsgeschichte davor schützen?

Das erste Viertel des 21. Jahrhunderts hat leider bestätigt, dass Rassismus und religiöse Konflikte, imperialistische Gier und Machtstreben, Autoritarismus und Totalitarismus keine isolierten Randphänomene sind, sondern eine historische Konstante und wahrscheinlich ein konstitutiver Aspekt des Menschseins. Ich fürchte, dass die Kenntnis der Rechtsgeschichte nichts gegen diejenigen ausrichten kann, die ihre Existenz auf diese Fehlentwicklungen gründen. Aber sie kann viel bewirken gegenüber einer unwissenden und gleichgültigen Mehrheit, die wissen muss, wie viele Opfer gebracht wurden, um die Kultur der Demokratie und der Toleranz zu festigen und welche Folgen die Missachtung der Menschenwürde auf allen Ebenen früher oder später für alle von uns haben wird. „Das Bewusstsein kann wieder verführt und verdunkelt werden“, schrieb 1976 Primo Levi, der italienisch-jüdische Schriftsteller, der ein Jahr in Auschwitz überlebte. Die gegenwärtige Situation, sowohl in Europa als auch weltweit, legt leider den Schluss nahe, dass sich viele Gewissen bereits verdunkelt haben.

Die Fragen stellte Lennart Pieper.


Zitieren als:
Ferdinando Mazzarella/Lennart Pieper: „Auf juristischer Ebene gab es nie eine gemeinsame Weltanschauung“. Interview, EViR Blog, 31.10.2024, https://www.evir.uni-muenster.blog/interviewmazzarella/

Lizenz:

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