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Wie Wissenschaft und Theater zusammenfinden

„Der lange Fall des liederlichen Mönchs“ entführt ins 16. Jahrhundert

Wie stellt man frühneuzeitliche Rechtsvielfalt dar? Indem man mit professionellen Darstellerinnen und Darstellern zusammenarbeitet. Das Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“ und das Theater „Freuynde + Gaesdte“ haben genau das getan und gemeinsam ein innovatives Format der Wissenschaftskommunikation entwickelt. Am 15. Oktober 2025 feierte „Der lange Fall des liederlichen Mönchs“ im großen Schwurgerichtssaal des Landgerichts Münster Premiere.

Zwei Personen in historischen Kostümen stehen auf einer Bühne vor einer Reihe von Schreibtischen mit Mikrofonen und Technik. Die Person auf der rechten Seite trägt einen langen schwarzen Mantel und eine grüne Kopfbedeckung und deutet mit ausgestrecktem Finger nach vorne. Die andere Person, eine Frau mit silbergrauem Haar, hält ein weißes Tuch in der Hand und schaut aufmerksam zu. Die Bühne wirkt wie ein Gerichtssaal oder ein ähnlicher formaler Raum. | Two people dressed in historical costumes stand on stage in front of a row of desks equipped with microphones and technical equipment. The person on the right wears a long black coat and a green head covering, pointing forward with their outstretched finger. The other person, a woman with silver-gray hair, holds a white cloth in her hand and looks on attentively. The stage appears like a courtroom or another similar formal space.
Die Figuren des Stückes, darunter Mitglieder des Stadtrates und eine Bürgersfrau, wurden von Darstellenden des Freien Theaters „Freuynde und Gaesdte“ zum Leben erweckt. Foto: Freuynde + Gaesdte/Zeha Schröder.

Die historischen Quellen zum Leben erwecken

Das Stück erzählt von einem brisanten Rechtsfall im Münster des 16. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht der Mönch und Weihbischof Johan van Aken, der des Ehebruchs mit einer Bürgersfrau beschuldigt und daraufhin vom Stadtrat verhaftet wird – ungeachtet seiner Immunität als Kleriker. Mit dem nachdrücklichen Protest des Domkapitels als Verteidiger der geistlichen Sonderrechte entspinnt sich im Folgenden eine heftige Auseinandersetzung um die Frage, ob die Verhaftung durch den Rat rechtmäßig war. Der Konflikt bleibt nicht lange auf Münster beschränkt, sondern weitet sich aus, bis hin zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und zum Papst in Rom. Immer geht es um die Frage: Wer ist hier eigentlich die zuständige Obrigkeit, die in dieser Sache richten darf?

Zwei Männer mit historischen Gewändern stehen sich gegenüber. Der linke trägt eine dunkle Mütze mit einem Knopf und ein schwarzes Gewand. Er blickt intensiv auf den rechten Mann. Dieser trägt eine weiße Kopfbedeckung und hält seine Hände vor der Brust zusammen, als würde er beten oder bitten. Der Hintergrund besteht aus Holzpaneelen und sieht wie ein Gerichtssaal oder eine historische Halle aus. | Two men dressed in historical garments face each other. The man on the left wears a dark cap with a button and a black robe. He looks intently at the man on the right. This man wears a white head covering and has his hands clasped together in front of his chest, as if praying or pleading. The background consists of wood panels and looks like a courtroom or a historical hall.
Der Domdechant und sein Schreiber im Gespräch. Foto: Freuynde + Gaesdte/Zeha Schröder.

Der Fall ist historisch belegt. Vera Teske, Historikerin und bis September 2025 Junior Fellow am Kolleg, untersucht ihn in ihrer Dissertation über konkurrierende Rechtsräume in der frühneuzeitlichen Stadt. Auf der Suche nach einem geeigneten Stoff, der die Komplexität vormoderner Rechtsordnungen zeigt und gleichzeitig von menschlichen Schicksalen erzählt, stellte sie ihn in der Arbeitsgruppe vor. Schnell war klar: Diese Geschichte gehört auf die Bühne.  

Während Vera Teske bereitwillig ihre Quellen zur Verfügung stellte und den Vortragstext entwickelte, übernahmen Prof. Dr. Ulrike Ludwig und Prof. Dr. Peter Oestmann die fachliche Redaktion. Zeha Schröder, Künstlerischer Leiter der „Freuynde und Gaesdte“, dramatisierte den Stoff und schrieb die szenischen Texte. Das Freie Theater aus Münster bringt in eigenen Stücken regelmäßig reale Ereignisse oder historische Stoffe auf die Bühne. Mit Zeha Schröder und den Darstellenden Gabriele Brüning, Andreas Ladwig und Johan Schüling haben wir daher starke Partner an der Seite, die die seit Jahrhunderten im Archiv schlummernden Quellen scheinbar mühelos zum Leben erweckten.

Das Besondere an der Inszenierung ist, dass sie Spielszenen mit wissenschaftlichen Kommentaren verbindet. Zwischen den Auftritten der Figuren – darunter Mitglieder des Stadtrats, eine Bürgersfrau sowie der Fürstbischof samt seiner Mätresse – kommt ein Mitglied des Kollegs als „Stimme der Wissenschaft“ zu Wort. Diese Einwürfe erläutern das soeben Gesehene, ordnen es in den größeren Zusammenhang ein und lassen so nach und nach ein umfassendes Bild der politischen und rechtlichen Ordnung im frühneuzeitlichen Münster in den Köpfen des Publikums entstehen. Dazwischen treiben die teils ernsten, teils amüsanten Dialoge den Fall um den liederlichen Mönch voran. Von der Handlung sei an dieser Stelle indes nicht mehr verraten.

Eine junge Frau mit blondem Haar und Brille sitzt lächelnd vor einem Tisch. Sie trägt ein schwarzes Hemd mit V-Ausschnitt und hält ein Blatt Papier in der Hand. Im Hintergrund sind graue Stühle und Holzpaneele zu sehen, die auf eine formelle Umgebung wie einen Gerichtssaal oder ein Konferenzzimmer hindeuten. Sie wirkt freundlich und engagiert. | A young woman with blonde hair and glasses sits smiling in front of a table. She wears a black V-neck shirt and holds a piece of paper in her hand. In the background are gray chairs and wood panels suggesting a formal setting like a courtroom or conference room. She appears friendly and engaged.
Vera Teske kommentiert das Theaterstück, das auf Quellen aus ihrer Dissertation basiert. Foto: KHK EViR.

Zwischen Anschauung, Unterhaltung und Reflexion

Was ist das Besondere am Theater als Format der Wissenschaftskommunikation? Mit ihrer erzählerischen Kraft und ihrem Fokus auf Figuren und Dialogen besitzt die Darstellende Kunst das Potenzial, Zugänge zu komplexen Forschungsthemen zu erschließen. Sie holt weit vom eigenen Alltag entfernt scheinende Lebenswelten ins Hier und Jetzt, macht abstrakte Themen anschaulich und übersetzt Strukturen in handelnde Personen. Zugleich schafft sie durch die Emotionalisierung des Stoffes Zugänge jenseits reiner Kognition und wirft ethische Fragen (wie z.B. nach der Gerechtigkeit ständischer Rechtsordnungen) auf. Besonders anschlussfähig erscheint sie damit für Themen des Rechts bzw. der Rechtsgeschichte, bei denen hinter Gesetzbüchern, Vertragswerken oder Instanzenzügen am Ende handelnde Menschen, ihre Konflikte und Konfliktlösungsmechanismen aufscheinen.

Die wissenschaftlichen Kommentare zwischen den Spielszenen dienen dabei als wohlgesetzte Zäsuren. Sie dienen nicht nur dem Zweck, schwer darstellbare Handlungslinien zusammenzufassen, die Dialoge in einen größeren Kontext einzuordnen und Hintergrundwissen zu liefern. Vielmehr durchbrechen sie zugleich immer wieder die suggestive Wirkung des Theaters und holen die Zuschauenden aus der historischen Zeit in die Gegenwart. So wird etwa erläutert, dass der Wortlaut des soeben gehörten Dialogs tatsächlich aus den historischen Briefen stammt, während bei einer anderen Szene ein höheres Maß an künstlerischer Freiheit im Spiel ist. Aber auch die Grenzen der Forschung werden an der ein oder anderen Stelle thematisiert. Auf diese Weise eröffnet das Format zugleich einen Reflexionsraum und fordert das Publikum auf, sich aktiv und kritisch mit dem Gesehenen und Gehörten auseinanderzusetzen.

Fünf Personen in historischen Kostümen stehen auf einer Bühne und verbeugen sich leicht vor dem Publikum. Die Person ganz rechts trägt einen langen schwarzen Mantel und eine grüne Kopfbedeckung und streckt die Arme leicht nach oben aus. Neben ihr stehen drei weitere Personen, eine Frau mit blondem Haar und eine zweite Frau mit einem grünen Kleid. Die fünfte Person trägt dunkle Kleidung und hält die Hand einer der anderen Personen. Der Hintergrund besteht aus Holzpaneelen und einer Decke mit zahlreichen Lichtern. Es wirkt wie eine historische Verbeugungsszene in einem Gerichtssaal. | Five people dressed in historical costumes stand on stage bowing slightly to the audience. The person furthest to the right wears a long black coat and a green head covering, extending their arms slightly upwards. Next to them stand three other people: a woman with blonde hair and another woman wearing a green dress. The fifth person wears dark clothing and holds the hand of one of the others. The background consists of wood panels and a ceiling with numerous lights. It looks like a historical bowing scene in a courtroom.
Lang anhaltender Applaus war den Mitwirkenden bei der Uraufführung sicher. Foto: KHK EViR.

Vorrangiges Ziel des Theaterprojekts ist es, neue Zielgruppen für die Themen des Kollegs zu gewinnen und zu zeigen, dass die Rechtsgeschichte der Frühen Neuzeit faszinierend und unterhaltsam sein kann. Dabei soll das Publikum eine Vorstellung davon entwickeln, wie fragmentiert das Recht im 16. Jahrhundert war und dass es nach ganz anderen Prinzipien funktionierte als heute. Eine systematische Evaluation des Projekts samt Befragung der Zuschauerinnen und Zuschauer wird genaueren Aufschluss darüber geben, wie das Format vom Publikum angekommen wird und ob es die gewünschten Wirkungen erzielt hat. Die angeregten Gespräche nach den Aufführungen deuten jedenfalls darauf hin, dass das Experiment gelungen ist.


Zitieren als:

Pieper, Lennart, Wie Wissenschaft und Theater zusammenfinden. „Der lange Fall des liederlichen Mönchs“ entführt ins 16. Jahrhundert, EViR Blog, 27.10.2025, https://www.evir.uni-muenster.blog/wissenschaft-und-theater/.

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