„Der lange Fall des liederlichen Mönchs“ entführt ins 16. Jahrhundert
Wie stellt man frühneuzeitliche Rechtsvielfalt dar? Indem man mit professionellen Darstellerinnen und Darstellern zusammenarbeitet. Das Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“ und das Theater „Freuynde + Gaesdte“ haben genau das getan und gemeinsam ein innovatives Format der Wissenschaftskommunikation entwickelt. Am 15. Oktober 2025 feierte „Der lange Fall des liederlichen Mönchs“ im großen Schwurgerichtssaal des Landgerichts Münster Premiere.

Die historischen Quellen zum Leben erwecken
Das Stück erzählt von einem brisanten Rechtsfall im Münster des 16. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht der Mönch und Weihbischof Johan van Aken, der des Ehebruchs mit einer Bürgersfrau beschuldigt und daraufhin vom Stadtrat verhaftet wird – ungeachtet seiner Immunität als Kleriker. Mit dem nachdrücklichen Protest des Domkapitels als Verteidiger der geistlichen Sonderrechte entspinnt sich im Folgenden eine heftige Auseinandersetzung um die Frage, ob die Verhaftung durch den Rat rechtmäßig war. Der Konflikt bleibt nicht lange auf Münster beschränkt, sondern weitet sich aus, bis hin zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und zum Papst in Rom. Immer geht es um die Frage: Wer ist hier eigentlich die zuständige Obrigkeit, die in dieser Sache richten darf?

Der Fall ist historisch belegt. Vera Teske, Historikerin und bis September 2025 Junior Fellow am Kolleg, untersucht ihn in ihrer Dissertation über konkurrierende Rechtsräume in der frühneuzeitlichen Stadt. Auf der Suche nach einem geeigneten Stoff, der die Komplexität vormoderner Rechtsordnungen zeigt und gleichzeitig von menschlichen Schicksalen erzählt, stellte sie ihn in der Arbeitsgruppe vor. Schnell war klar: Diese Geschichte gehört auf die Bühne.
Während Vera Teske bereitwillig ihre Quellen zur Verfügung stellte und den Vortragstext entwickelte, übernahmen Prof. Dr. Ulrike Ludwig und Prof. Dr. Peter Oestmann die fachliche Redaktion. Zeha Schröder, Künstlerischer Leiter der „Freuynde und Gaesdte“, dramatisierte den Stoff und schrieb die szenischen Texte. Das Freie Theater aus Münster bringt in eigenen Stücken regelmäßig reale Ereignisse oder historische Stoffe auf die Bühne. Mit Zeha Schröder und den Darstellenden Gabriele Brüning, Andreas Ladwig und Johan Schüling haben wir daher starke Partner an der Seite, die die seit Jahrhunderten im Archiv schlummernden Quellen scheinbar mühelos zum Leben erweckten.
Das Besondere an der Inszenierung ist, dass sie Spielszenen mit wissenschaftlichen Kommentaren verbindet. Zwischen den Auftritten der Figuren – darunter Mitglieder des Stadtrats, eine Bürgersfrau sowie der Fürstbischof samt seiner Mätresse – kommt ein Mitglied des Kollegs als „Stimme der Wissenschaft“ zu Wort. Diese Einwürfe erläutern das soeben Gesehene, ordnen es in den größeren Zusammenhang ein und lassen so nach und nach ein umfassendes Bild der politischen und rechtlichen Ordnung im frühneuzeitlichen Münster in den Köpfen des Publikums entstehen. Dazwischen treiben die teils ernsten, teils amüsanten Dialoge den Fall um den liederlichen Mönch voran. Von der Handlung sei an dieser Stelle indes nicht mehr verraten.

Zwischen Anschauung, Unterhaltung und Reflexion
Was ist das Besondere am Theater als Format der Wissenschaftskommunikation? Mit ihrer erzählerischen Kraft und ihrem Fokus auf Figuren und Dialogen besitzt die Darstellende Kunst das Potenzial, Zugänge zu komplexen Forschungsthemen zu erschließen. Sie holt weit vom eigenen Alltag entfernt scheinende Lebenswelten ins Hier und Jetzt, macht abstrakte Themen anschaulich und übersetzt Strukturen in handelnde Personen. Zugleich schafft sie durch die Emotionalisierung des Stoffes Zugänge jenseits reiner Kognition und wirft ethische Fragen (wie z.B. nach der Gerechtigkeit ständischer Rechtsordnungen) auf. Besonders anschlussfähig erscheint sie damit für Themen des Rechts bzw. der Rechtsgeschichte, bei denen hinter Gesetzbüchern, Vertragswerken oder Instanzenzügen am Ende handelnde Menschen, ihre Konflikte und Konfliktlösungsmechanismen aufscheinen.
Die wissenschaftlichen Kommentare zwischen den Spielszenen dienen dabei als wohlgesetzte Zäsuren. Sie dienen nicht nur dem Zweck, schwer darstellbare Handlungslinien zusammenzufassen, die Dialoge in einen größeren Kontext einzuordnen und Hintergrundwissen zu liefern. Vielmehr durchbrechen sie zugleich immer wieder die suggestive Wirkung des Theaters und holen die Zuschauenden aus der historischen Zeit in die Gegenwart. So wird etwa erläutert, dass der Wortlaut des soeben gehörten Dialogs tatsächlich aus den historischen Briefen stammt, während bei einer anderen Szene ein höheres Maß an künstlerischer Freiheit im Spiel ist. Aber auch die Grenzen der Forschung werden an der ein oder anderen Stelle thematisiert. Auf diese Weise eröffnet das Format zugleich einen Reflexionsraum und fordert das Publikum auf, sich aktiv und kritisch mit dem Gesehenen und Gehörten auseinanderzusetzen.

Vorrangiges Ziel des Theaterprojekts ist es, neue Zielgruppen für die Themen des Kollegs zu gewinnen und zu zeigen, dass die Rechtsgeschichte der Frühen Neuzeit faszinierend und unterhaltsam sein kann. Dabei soll das Publikum eine Vorstellung davon entwickeln, wie fragmentiert das Recht im 16. Jahrhundert war und dass es nach ganz anderen Prinzipien funktionierte als heute. Eine systematische Evaluation des Projekts samt Befragung der Zuschauerinnen und Zuschauer wird genaueren Aufschluss darüber geben, wie das Format vom Publikum angekommen wird und ob es die gewünschten Wirkungen erzielt hat. Die angeregten Gespräche nach den Aufführungen deuten jedenfalls darauf hin, dass das Experiment gelungen ist.

Über den Autor
Dr. Lennart Pieper ist Historiker und Referent für Wissenschaftskommunikation am Käte Hamburger Kolleg.
Zitieren als:
Pieper, Lennart, Wie Wissenschaft und Theater zusammenfinden. „Der lange Fall des liederlichen Mönchs“ entführt ins 16. Jahrhundert, EViR Blog, 27.10.2025, https://www.evir.uni-muenster.blog/wissenschaft-und-theater/.
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