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Kalenderstreit – Weihnachtszeit – Rechtsvielfalt

Am 24. Februar 1582 verkündete Papst Gregor XIII. in seiner Reformbulle Inter gravissimas eine Kalenderreform. Die darin verfügte Neuberechnung von Schaltjahren hatte den einmaligen Wegfall von zehn Kalendertagen zur Folge. Sie steht für eine chronologische Vereindeutigung oder gar Entzauberung der Welt, welche zwar die astronomische und die kalendarische Jahresrechnung wieder aneinander anglich, zugleich aber das Vertrauen in eine göttliche Zeitrechnung erschütterte. Die dadurch ermöglichte Normierung und Regulierung des Weihnachtsfests per päpstlichem Dekret blieb in der Frühen Neuzeit jedoch selten unangefochten.

Papst Gregor XIII. steht der Kommission zur Kalenderreform vor (Archivio di Stato di Siena, Biccherna Tafel 72) © Wikimedia Commons

Stattdessen entwickelte sich im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation eine Koexistenz und Konkurrenz von julianischer und gregorianischer Zeitrechnung, welche in zeitgenössischen Datierungen festgehalten und erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts vereinheitlicht wurde. Dass dadurch doppelte Datumsbezeichnungen im Abstand von zehn Tagen oder die Verwendung von altem oder neuen Kalenderstil explizit vermerkt wurden, hängt mit der reichsweiten Umsetzung der Reform zusammen. War diese von den katholischen Reichsständen bald nach Bekanntwerden der päpstlichen Bulle umgesetzt worden, vollzogen die protestantischen Territorien eine Umstellung des julianischen Kalenders erst im Jahr 1700.

Wie allgegenwärtig und kompliziert diese Kalenderspaltung im zwischenmenschlichen Zusammenleben war, spiegeln die Sonn- und Feiertage des christlichen Festkalenders, die allein in der Adventszeit mehrmals von den verschiedenen Augsburger Konfessionen begangen wurde. Auch beim Verreisen über die Weihnachtstage musste – je nach Zielort – ein Zeitsprung von zehn Tagen einberechnet werden. Selbiges gilt für die Erhebung von Zinsen, welche bis dato an Heiligentagen orientiert waren und daher konfessionell wie regional variieren konnten, sowie für Abgaben, die reichsweit zum kalendarischen Jahresbeginn am 25. Dezember fällig wurden.

Kalender halfen bei der Umrechnung zwischen dem alten (protestantischen) und neuen (katholischen) Stil. Hier ein Exemplar von Caspar Bucha, Alt und New Schreibcalender auff das Jahr 1599. © Bayerische Staatsbibliothek München

Bereits zeitgenössische Quellen monieren, wie schwierig all diese Termine in der Weihnachtszeit zu überblicken oder gar zu koordinieren waren. So illustrierten etwa Bauernklagen die Rat- und Zeitlosigkeit in der ländlichen Gesellschaft, wo die sogenannten Lostage, denen Bedeutung für das zu erwartende Wetter und damit für die Verrichtung bestimmter Arbeiten in Land- und Viehwirtschaft zugeschrieben wurde, nun nicht mehr eindeutig feststünden. Betroffen waren hiervon auch die Raunächte in der letzten Dezember- und ersten Januarwoche, welchen eine ebenso wichtige Bedeutung bei Aussaat und Ernte zukam. Dagegen wurde in der Flugschrift Der Weiber Krieg wider den Papst (1590) der Verlust der besinnlichen Zeit kritisiert, weil in der Kalenderumstellung verlorengegangene Zeit für Gottesdienste und persönliche Einkehr nun im restlichen Jahr nachgeholt werden müsse.

Der in diesen Werken kritisierte Bruch mit Herkommen und Tradition, der einen engen Zusammenhang von Kalenderordnung und Volkskultur aufweist, konnte an Streitschriften der Reformation anknüpfen. So erteilte Martin Luther früheren Reformversuchen des julianischen Kalenders, die bereits auf spätmittelalterlichen Konzilien angeregt worden waren, in seiner Schrift Von den Kirchen und Conciliis (1539) eine scharfe Absage, da die Berechtigung dazu wohl kaum beim Papsttum liegen könne. Die Schrift erfuhr anlässlich des Kalenderstreits eine späte Neuauflage mit einem stark polemisierenden Vorwort und brachte damit zum Ausdruck, wie tief verwurzelt das Misstrauen gegen die Reform bei den Protestanten war. In Reformation und Gegenreformation wurde von ihnen eine Loslösung vom Papst und der römischen Kirche angemahnt und die Kalenderreform als päpstlicher Versuch diffamiert, verlorengegangene obrigkeitliche Rechte über protestantische Gläubige wiederzuerlangen.

Grundsätzlich wurde damit die Frage aufgeworfen, wer überhaupt zur Korrektur einer von Gott geschaffenen Zeitordnung befähigt und berechtigt war. Fiel die Antwort darauf in Luthers Schrift eher spärlich aus und mahnte eine einmütig getroffene Entscheidung der weltlichen Gewalten an, erschwerten rechtliche Unklarheiten gegen Ende des Jahrhunderts eine kaiserliche Positionierung in der Reformfrage. Erst am 24. Oktober 1583 schlug sich Rudolf II. im seinem Kalendermandat auf die Seite der neuen Zeitrechnung – erwähnte aber deren päpstlichen Urheber mit keinem Wort. Dennoch distanzierte er sich damit auf reichspolitischer Ebene von den protestantischen Fürsten, deren Beharren auf einer vorherigen, eingehenden Klärung der Autoritäten- und Verfahrensfrage mit dem Erlass des Reichsoberhaupts kassiert worden war.

Der Kalenderstreit beschäftigte auch die zeitgenössische Flugschriften-Publizistik. © Staatsbibliothek zu Berlin / Public Domain

Die zeitgenössische Sorge um Policey – also die Aufrechterhaltung der guten Ordnung – welche zahlreiche Gutachten bereits im Vorfeld der Reform zum Ausdruck brachten, erfuhr schließlich eine dramatische Zuspitzung infolge von Unruhen der städtischen Bevölkerung. Einerseits erreichten diese im Zeitraum 1583/1584 ihren vorläufigen Höhepunkt, bei dem vielerorts das Weihnachtsfest der Gegenpartei gestört wurde und nur aufgrund des entschiedenen Eingreifens der Obrigkeit durchzusetzen war. Andererseits verstärkten diese Auseinandersetzungen eine weit verbreitete Angst vor Aufständen in der Frühen Neuzeit, aufgrund derer neben der Kalenderreform auch tagespolitische Entwicklungen im Kurkölnischen Krieg mit Sorge wahrgenommen wurden.

Wurden derartigen Unruhen in zahlreichen Untersuchungen als sogenannter Kalenderstreit ausgewiesen, welcher eher die Frühphase der Reformanstrengungen begleitete, legt das Lied Von der Geburt des newen Gregorianis Calender Anno 83 auch andere Formen der Konfliktführung nahe. Dieser literarischen Spottdichtung lag die Melodie des evangelischen Gesangbuchklassikers Vom Himmel hoch da komm ich her zugrunde. Ihr lautstarkes Vortragen in Auseinandersetzungen um die Reform bot die Möglichkeit, die eigene Konfession sowie das Befolgen des zugehörigen Kalenders öffentlich zur Schau zu stellen. Dass dadurch in Erfurter Auseinandersetzungen desselben Jahres ein regelrechtes Charivari – also ein öffentliches Straf- und Spottritual – inszeniert wurde, richtete sich bezeichnenderweise gegen die katholischen Weihnachtsfeierlichkeiten am Mainzer Hof des erzbischöflichen Landesherrn. Mehr noch sah sich der Rat daraufhin sogar veranlasst, für die anstehenden protestantischen Feiertage die Schließung von Geschäften sowie eine Art Ausgangssperre zu verfügen.

Schließlich deuten solche Maßnahmen eine längerfristige Komponente des Kalenderstreits an, welche die herrschaftliche Regulierung und Normierung der besinnlichen Zeit zur Folge hatten. Wie dabei besonders an Feiertagen eine konfessionell eindeutige Wahrnehmung des eigenen Territoriums forciert wurde, bildete zwar mitnichten die konfessionelle und chronologische Vielgestaltigkeit im Alten Reich ab. In diachroner Perspektive war damit jedoch die Ausbildung einer sogenannten Temporalpolicey verbunden, welche vonseiten der Obrigkeit im fortschreitenden Kalenderstreit etabliert wurde. Ebenso wie eine solche Kodifizierung zunehmend auch auf die rechtliche Gewährleistung einer Feiertagsruhe durch die Anpassung entsprechender Arbeits- und Urlaubszeiten zielte, wünscht auch das Team des Käte Hamburger Kollegs ruhige und besinnliche Feiertage.


Zitieren als:

Moritz, Jona, Kalenderstreit – Weihnachtszeit – Rechtsvielfalt, EViR Blog, 21.12.2023, https://www.evir.uni-muenster.blog/kalenderstreit/.

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